VON ENGELBERT BROICH
Einst war es das Gemeindehaus der Pfarrei St. lPaul. Vor einigen Jahren bezog das „Sozialpsychiatrische Zentrum” (SPZ) Innenstadt der Caritas das Erd- und Obergeschoss in der Kölner Loreleystraße 7. Die erste Etage blieb zunächst frei. Auf der Suche nach einer adäquaten Nutzung erinnerte sich der Theologe Johannes Schmitz, Leiter des Referates Behindertenseelsorge (Seelsorge für psychisch Kranke und Behinderte) im Erzbistum Köln, an eine lange zurück liegende Idee. Geboren hatte sie Schmitz als katholischer Seelsorger an den Rheinischen Landeskliniken Köln-Merheim mit seinen Kollegen. Gegenstand der Überlegungen war ein seelsorgerischer Ort für psychisch kranke Menschen außerhalb der Klinik. Ein Ort, der die bestehende Versorgungslandschaft für. die Betroffenen um die· „religiöse, spirituelle Dimension” bereichert. Mit der Eröffnung des Zentrums „Seelsorge & Begegnung für psychiatrieerfahrene Menschen” im April 1999 wurde aus der Fiktion Realität. Träger ist das Erzbistum Köln. Das Konzept haben die Klinikseelsorger der Rheinischen Landeskliniken Köln entwickelt. Sie sind zugleich Mitarbeitende von „Seelsorge & Begegnung”. Einer von ihnen ist Dietrich Grütjen. „Wir waren alle von Beginn an in die Planung eingebunden”, erinnert sich der evangelischer Pfarrer an den Landeskliniken. „Unser Bereich war vollkommen entkernt”, schildert er seine erste Begegnung mit den Räumlichkeiten im Paulushaus. „Die Ideen konnten also sprudeln”, bezeichnet er das Projekt als großen Glücksfall.
„Wir sprechen Menschen an, die nicht mehr in der Klinik sind und vielleicht noch in psychiatrischer Behandlung. In der Mehrzahl Menschen, die eine chronische psychische Erkrankung haben, die mal mehr, mal weniger manifest ist”, erklärt Grütjen. „In erster Linie geht es um die, für die eine Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung zur Lebensaufgabe geworden ist.” Die Besuchenden seien oft Menschen, die in ihrer persönlichen Entwicklung schon ein religiöses Interesse gehabt hätten. Aber auch solche, die in ihrer Krankheit sich erstmals mit religiösen Fragen befassen. „Ihnen bieten wir eine spirituelle Begleitung an, wir helfen bei persönlicher Sinnsuche und Lebensbewältigung.” Religion werde sehr häufig nur negativ, als Krankheitssymptom oder -auslöser wahrgenommen, kritisiert der Leiter der Einrichtung, der katholische Pfarrer Karl-Hermann Büsch, dass Betroffene mit ihren religiösen Anliegen oft allein gelassen würden. „Je tiefer die existenzielle Krise ist, um so stärker rührt sie an religiöse Grundfragen, die Frage nach dem Sinn, nach Hoffnung, nach Spiritualität”, verdeutlicht Büsch, Psychiatrie- und Behindertenseelsorger an den Rheinischen Kliniken Köln und für das Stadtdekanat Köln. Dabei suchten nicht nur christlich sozialisierte Menschen nach religiösen Sinndeutungen und Symbolhandlungen. „Unser Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem seelsorgerischen Aspekt”, betont Grütjen. Fast alle Angebote würden dies deutlich widerspiegeln. „Mit dem religiösen Profil der Veranstaltungen”, so Büsch, „ist ein klares und eindeutiges Unterscheidungsmerkmal sowie eirie sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Angeboten der Kontakt- und Beratungsstellen gegeben.” „Wir vereinnahmen niemanden”, stellt Grütjen fest. Man werbe zwar in Kliniken mit den Angeboten „für die Zeit danach”. Aber jeder sei frei, innerhalb der Angebote und des Programms zu wählen. „Sehr bewusst steht im Namen der Einrichtung neben dem Terminus Seelsorge auch Begegnung”, sagt Büsch. „Mit dieser Bezeichnung soll Normalität und Alltäglichkeit signalisiert werden. Hier trifft man sich zu gemeinsamem gleichberechtigtem Tun.” Gemeinschaft wird ermöglicht an Begegnungs- und Einkehrtagen sowie regelmäßig stattfindenden nachmittäglichen oder abendlichen Gruppen- und Einzelveranstaltungen. Diese reichen von der Schreibwerkstatt über Meditationsangebote und Andachtsformen, meditatives Malen und Tanzen bis hin zu Gesprächskreisen. Außerdem werden Gottesdienste gefeiert. Um „die Kommunikation des Innenlebens nach außen zu tragen”, lädt „Seelsorge & Begegnung” zwei bis drei Mal jährlich zu Ausstellungen mit Arbeiten psychiatrieerfahrener · kreativer Menschen ein.
Der evangelische Beitrag der Einrichtung sei in erster Linie ein personeller, erläutert Grütjen. „Er ist festzumachen an meiner Person als evangelischer Pfarrer und an den evangelischen Besuchenden. Aber das Konfessionelle spielt für die Besuchenden gar keine Rolle. Sie erleben hier eine fast perfekte Ökumene. Unser Verhältnis ist außerordentlich gut. Es ist ein katholisches Haus, in dem ein evangelischer Pfarrer mitarbeitet.”
Viele Angebote könnten auch in dem Programm eines normalen Bildungshauses stehen. Der Unterschied sei, dass viele Teilnehmende Erfahrungen mit Psychosen hätten und daher die ähnlichen Erfahrungen anderer Besuchenden nachempfinden könnten. Wenn diese Menschen in den Kirchengemeinden von ihren Problemen sprechen würden, setze oft das große Schweigen ein, ein Nichtverstehen. „Hier müssen sie keinem erzählen, was Depression bedeutet.” Wenn man vor so einem Hintergrund gemeinsam die Bibel lese, singe oder male, bekämen diese Aktivitäten eine ganz andere Qualität. „Ich denke, dass die einzelnen Kirchen – gemeinden etwas gewinnen, wenn sie sich mit diesen Lebenserfahrungen auseinandersetzen. Diese Menschen haben uns etwas zu sagen.” Daher richte sich „Seelsorge & Begegnung” auch an Gemein~ den. „Wir bieten Gespräche und Informationen über psychische Erkrankungen, vermitteln in beide ·Richtungen Kontakte und Begegnungsmöglichkeiten”, sagt Grütjen. Zudem fördere man den Aufbau eines Laienhelferkreises und unterstütze diese „Brückenbauer”. Ebenso gewähre man Hilfen zur Begleitung psychisch kranker Menschen in Familie und Gemeinde. Gleichwohl stoße dieses Angebot auf eher geringes Interesse. „Zwar werde ich hin und wieder in Gemeindegruppen eingeladen, aber hierher kommen sie nicht.”
Interesse bestehe meistens dort, wo es einen persönlichen Kontakt und persönliche Betroffenheit gebe. Ansonsten greife der Abwehrmechanismus gegenüber dem oft tabuisierten Tqema Psychiatrie, bedauert der Seelsorger. Er und seine Kolleginnen und Kollegen offerieren in der Kirche und im sozialpsychiatrischen Umfeld Mitarbeitenden Orientierung und Qualifizierung. Sie bieten Gesprächsforen zu Fragen der Religiosität in der Psychiatrie, zum Menschenbild und der Berufsethik.
In der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens habe die Einrichtung bereits einen festen Besucherkreis aufbauen können, freut sich Grütjen. Darunter befänden sich auch Menschen ohne Psychiatrieerfahrung. „Für viele sind die Veranstaltungen zu Bezugspunkten im Leben geworden. Gefragt sind insbesondere solche, die die Möglichkeit zur Kreativität bieten.” Gute Resonanz würden auch die Gesprächsgruppen erzielen. Und alles, was auf dem Sektor Freizeiten und Ausflüge ausgeschrieben würde, sei regelmäßig überbucht. Informationen zu „Seelsorge & Begegnung”, Loreleystraße 7, unter www.seelsorge-und-begegnung.de
oder unter Telefon 0221 /37 66 327.