Von KARINE WALDSCHMIDT
Kölnische Rundschau 7.10.2009 Nr. 233
SÜDSTADT. Die Räume bei „Seelsorge und Begegnung“ · im Paulushaus haben eine ganz eigene Atmosphäre – sie strahlen Ruhe und Milde aus. Die Wände sind weiß gestrichen, die Möbel aus hellem Holz haben ein geschmackvoll- zurückhaltendes Design. Im Flur und im Aufenthaltsraum hängen Originalwerke, die Teilnehmer der Kunstkurse gemalt haben. Im Bibliothekszimmer laden Korbstühle zum Gespräch ein.
Besonders beeindruckend ist die meditative Stimmung des Kapellenraums. Das sakrale Mobiliar ist aus trutzigem Eichenholz ganz schlicht gearbeitet. Blickfang an der Stirnwand ist das Lichtkreuz, das sich aus vier lose zu einem Kreis geordneten Holzdreiecken von selbst fügt.
Das Paulushaus ist eine gemeindenahe Einrichtung des Erzbistums, in der Menschen mit Psychiatrieerfahrung seelsorgerisch betreut werden. .Ein Ort mit Charisma“ nennt Leiter Karl-Hermann Büsch die Begegnungsstätte. Untergebracht ist sie im zweiten Stock eines Backsteingebäudes an der Lorelystraße unweit der Vorgebirgsstraße. „Paulus-Heim“ steht über dem Torbogen – so hieß das Haus früher, es war das Pfarrheim von St. Paul. Während des Kriegs wurde es zur Notkirche umfunktioniert, weil die Kirche zerstört war. Im ersten Stock des Hauses residiert ein der Sozialpsychiatrisches Zentrum (SPZ). Die SPZ sind ebenfalls Orte, wo psychisch kranke Menschen Beratung und Unterstützung finden. Bei .Seelsorge und Begegnung“ aber liegt der Schwerpunkt auf der Seelsorge.
Der 55-Jährige Pfarrer Karl-Hermann Büsch baute das Haus mit auf, eingeweiht wurde es 1999 – vor kurzem feierte man das zehnjährige Bestehen mit einem Fest, bei dem gleichzeitig Dietrich Grütjen in den Ruhestand verabschiedet wurde. Der evangelische Pastor gehörte wie Büsch zum Gründungsteam.
„Seelsorge und Begegnung“ wird zwar ausschließlich vom Erzbistum finanziert, ist aber überkonfessionell angelegt. Für die Geschichte der Gründung muss man weit zurückgreifen: 1973 stellte der italienische Arzt Franco Basaglia die Psychiatrie auf den Kopf, indem er die Tore der von ihm geleiteten Klinik in Triest öffnete. Im Verlauf des zweimonatigen Kunstprojekts .Marco Cavallo“ erhielten die zuvor kasernierten psychisch Kranken die Möglichkeit, sich unters normale Volk zu mischen.
Damals glichen die Zustände in psychiatrischen Kliniken denen in Gefängnissen„ Basaglias Pionierarbeit hatte Folgen: 1975 rief der Bundestag eine Enquetekommission zur Psychiatrie ins Leben, die Reformvorschläge erarbeitete. Als Grundsatz wurde festgelegt, dass psychisch Kranke künftig nur während der Akutphase stationär in einer Klinik behandelt werden sollen, dass ansonsten aber die ambulante, gemeindenahe Betreuung Vorrang hat. In Köln wurden daraufhin in nahezu allen Stadtteilen Sozialpsychiatrische Zentren eröffnet. Außerdem formierte sich 1979 die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG), in der sämtliche einschlägigen Institutionen Mitglied sind.
Psychiatrieseelsorge ist ein eigener Baustein im sozialpsychiatrischen Netz“, erklärt Karl-Hermann Büsch Psychische Erkrankungen und Krisen berühren oft religiöse Themen. Psychoseerfahrungen haben die Qualität von Transzendenzerfahrungen, und Religiosität ist als Ressource zur Krisenbewältigung unbestritten.“ Religion könne jedoch auch krankmachend wirken. So spricht man von ekklesiogenen Neurosen“, die durch eine allzu rigide religiöse Erziehung entstehen. Viele .Kranke leiden unter einem dunklen Gottesbild und sehnen sich nach Veränderung.“ . Die seelsorgerische Unterstützung im Paulushaus geschieht vor allem in Form von Einzelgesprächen. Zudem finden regelmäßig Meditationsveranstaltungen statt, deren Rituale stabilisierend wirken sollen. Pfarrer Büsch, der im Fritz-Perls-Institut eine Zusatzausbildung zum Psychotherapeut machte, betont Missioniert wird nicht, das lehne ich strikt ab.“ Darüber hinaus gibt es bei .Seelsorge und Begegnung“ ein breitgefächertes Kursangebot, das in der Regel kostenlos ist – es reicht von Mal-, Schreib- und Tanzworkshops bis zu Ausflügen ins Umland. Einmal monatlich findet eine Andacht statt. .Unter den Besuchern herrscht eine unglaublich große Toleranz, denn jeder hat seine eigene Geschichte jenseits der Norm“, begeistert sich Büsch. .Diese Toleranz entsteht aus dem Wissen, dass ,normal‘ mehr ist als nur die gängige Spur des Wachbewußtseins.“ Außerhalb des Zentrums beobachtet er hingegen: .Unsere Gesellschaft neigt zur ,Normopathologie‘, es gibt eine pathologische Fixiertheit aufs Normale.
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