DAS INTERVIEW
Sonntagsblatt 11/2006 | Rottenburg-Stuttgart
Der Welttag der Kranken nahm in diesem.Jahr psychisch kranke Menschen in den Blick. Der katholische Psychiatrieseelsorger KarlHermann Büsch (51 ), der sich im Kölner Paulushaus um psychiatrieerfahrene Menschen kümmert, plädiert in unserem Interview dafür, Berührungsängste abzubauen und die besondere spirituelle Sensibilität dieser Menschen wertzuschätzen. Seiner Meinung nach sollten · Betroffene in den Pfarrgemeinden willkommener sein. ‘Herr Pfarrer Büsch, der Papst wirbt zum Welttag der Kranken um Verständnis für psychisch kranke Menschen.
Sicherlich darunter, dass sie häufig ausgegrenzt werden. Menschen mit einer psychischen Erkrankung laufen leicht Gefahr, dämonisiert zu werden. Denn eine Depression oder Psychose kann im, Prinzip jeder bekommen – das macht gesunden Menschen Angst, sie gehen auf Distanz.
Das ist je nach Bistum, Stadt und Seelsorgebezirk unter – , schiedlich. In unserem Kölner Stadtdekanat gibt es beispielsweise in den Kliniken und unserem Paulushaus gute seelsorgliche Angebote. Ich würde mir aber wünschen, dass die Betroffenen nicht nμr eigene Angeote bekommen – von denen es in Deutschland viel zu wenig gibt-, sondern dass sie auch in normalen Pfarrgemeinden willkommen sind. Da müssen sicherlich noch Berührungsängste abgebaut werden. Bisher geschehen solche Begegnungen zufällig und sind die Ausnahme. Die Psychiatrieseelsorge bietet Pfarrgemeinden auch Hilfestellungen an, die aber leider zu wenig genutzt werden.
Im Paulushaus sind wir darum bemüht, die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Wir bieten unter dem Motto »Seelsorge und Begegnung« ein abwechslungsreiches Programm: Gottesdienste, Bibelteilen, Gesprächskreise, Eutonie, Meditativen Tanz, Wandern, Singen, aber auch Malen und eine Schreibwerkstatt, Einkehrtage und Ausflüge. Jedes dieser Angebote sollte es ermöglichen, die · Grenzerfahrungen, die in psychiatrischer Krise gemacht werden, zur Sprache zu bringen.
Jeder von uns kennt Niedergeschlagenheit, Euphorie oder die Erfahrung, hin- und hergerissen zu sein. Psychisch Kranke erleben solche Gefühle aber oft viel extremer, als Totalität. Depressive etwa sind nicht nur niedergeschlagen, sie sitzen innerlich in einem Gefängnis und fühlen sich abgeschnitten von der Welt. Manische Menschen haben das Gefühl, völlig abzuheben; Psychotiker erleben ihre Welt buchstäblich als verrückt. Seelsorgliche Angebote·, sei es kreativer oder sprachlicher Art, bei denen diese Krankheitserfahrung nicht ausgeblendet wird, sind sehr hilfreich und werden gerne angenommen.
Nein. Psychisch Kranke sind aber in der Regel sehr sensible Menschen, die häufig krisenhafte Situationen erleben. Und dieses Erleben der Brüchigkeit der eigenen Existenz macht auch sensibel für Sinnfragen und die Frage nach Gott. Dann kann es doch spannend sein, sich mit ihnen über den Glauben auszutauschen.
Ich denke schon. Ich erlebe im Paulushaus immer wieder, dass Psychiatrie und Psychiatrieerfahrungen, theologisch gesprochen, auch manchmal Orte der Offenbarung sind. Diese Menschen erleben Gottes Feme, Gottes Nähe, Gottesfurcht – diese urreligiösen Erlebnisse – in einer hohen Intensität. Unsere seelsorgliche Begleitung ist deshalb nie eine Einbahnstraße, sondern eine wirkliche Begegnung auf Augenhöhe. Diese Begegnungen befruchten auch meinen eigenen Glauben als Pfarrer und Priester.
Auf jeden Fall. Denn wir bringen uns als Kirche und Kirchengemeinde auch um Chancen, in Berührung zu kommen mit einer besonderen Sensibilität für den Glauben. Insofern liegen in diesen Begegnungen, in denen es immer auch um Grenzerfahrungen geht, tiefe Erfahrungen des Menschseins. Diese Ernsthaftigkeit von psychisch Kranken, an Grundfrager des Glaubens und des Lebens zu kommen, wünsche ich jeder Gemeinde.
Ja, diese Erfahrung machen wir auch im Paulushaus immer wieder. Deshalb organisieren wir Veranstaltungen, die für jeden offen sind. Da berichten psychisch kranke Menschen von ihren Grenzerfahrungen, tragen eigene Texte vor, stellen ihre Bilder und Kollagen aus. Oft kommen auch Menschen, die keine Psychiatrie-Erfahrung haben. Das sind sehr dichte, intensive und. authentische Begegnungen wo auch die verwundete Seite, die jeder Mensch in sich trägt, einen Platz bekommt. Begegnung mit psychisch kranken Menschen führt nämlich auch immer in die eigenen Verwundungen hinein. Wenn diese Begegnungen aber mit großem Respekt geschehen, dann sind, sie wirklich heilsam.
Interview: Angelika Prauß
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